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China sollte sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen öffnen. Gespräch mit Otto Wiesheu

2018-07-11 16:02 Ökopark


Herr Wiesheu, Ihr letzter Besuch im Deutsch-Chinesischen Ökopark liegt genau ein Jahr zurück. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fortschritte, die hier in diesem Jahr erreicht wurden?

Ich komme ja jetzt seit fünf Jahren jährlich wenigstens einmal hierher und ich bin jedes Mal aufs Neue erstaunt, welche Fortschritte der Ökopark macht. Es ist eine Menge in der Infrastruktur getan worden, ebenso im Wohnungsbau. Und es hat sich eine ganze Reihe von Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen angesiedelt, die hier produzieren und ihren Vertrieb aufgebaut haben. Dazu Forschungseinrichtungen – von privaten Unternehmen bis hin zur Fraunhofer Gesellschaft. Alles zusammen macht die eigentliche Idee des Ökoparks aus: Forschung und Entwicklung plus Produktion und Vertrieb, dazu Wohnen, Sport, Freizeitgestaltung, Kultur. In allen diesen Bereichen sehe ich Fortschritte und der Ökopark entwickelt sich zu einem Musterbeispiel für chinesische Industrieparks.


Sie erwähnten Forschung und Entwicklung. Gestern (26. Juni 2018) wurde hier das Deutsch-Chinesische Institut für angewandte Forschung und Promotion eingeweiht. Wie wichtig ist gerade für mittelständische Unternehmen das Argument, dass es hier eine Forschungs- und Entwicklungslandschaft gibt, wenn diese eine Ansiedlungsentscheidung treffen?

Der Ökopark selbst will ja nicht nur den ökologischen Gedanken voranbringen und die verschiedenen Lebensbereiche miteinander verbinden. Er setzt sich auch für die Stärkung der Innovation ein. Nehmen Sie die erneuerbaren Energien, betrachten Sie das Energiesparhaus oder beispielsweise die Ansätze im Bereich der Traditionellen Chinesischen Medizin – all das lebt von der Innovation, von der Entwicklung neuer Technologien, von der Anwendung der Forschungsergebnisse. Das hat für die Zukunft des Ökoparks selbst eine zentrale Bedeutung, aber auch für ausländische Unternehmen, die sich hier ansiedeln wollen. Weil mittelständische Firmen heutzutage nicht mehr nur das produzieren, was sie immer hergestellt haben, sondern auch neue Produkte entwickeln wollen, mit denen sie auf den Märkten mit den Wettbewerbern mithalten können. Gerade mittelständische Unternehmen, die sich oft keine eigenen Forschungseinrichtungen leisten können, sind auf die Forschungskooperation mit staatlichen oder städtischen Einrichtungen angewiesen, um neue Ideen, neue Produkte zu entwickeln. Das ist von zentraler Bedeutung und ein wesentliches Argument bei der Anwerbung von Unternehmen, sich im Ökopark anzusiedeln.


Herr Wiesheu, vor zwei Jahren hatten Sie auf der 2. Tagung des Internationalen Beratergremiums des Deutsch-Chinesischen Ökoparks auf die Notwendigkeit verwiesen, hier im Ökopark industrielle Cluster zu bilden. Was hat sich in dieser Hinsicht getan?

Persönlich konnte ich mich noch nicht überzeugen, aber soweit ich den Quartalsberichten und dem Jahresbericht entnehmen konnte, entwickelt sich einiges im Bereich der Medizin, bei der künstlichen Intelligenz und auch in der Industrie-4.0-Produktion, wie wir es bei uns sagen würden, also bei daten- roboterbasierter Produktion. Da scheint sich hier einiges zu bewegen. (Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch fand kurz nach der Ankunft von Otto Wiesheu im Ökopark statt.)


Sie sagen, es scheine sich etwas zu entwickeln. Das klingt skeptisch. Sind nicht zufrieden, dass es zu langsam vorangeht?

Das ist eine Fehlinterpretation. Meine Informationen entnehme ich den Zwischenberichten, aus denen deutlich wird, was sich getan hat. Allerdings sind die Berichte nicht so aufgebaut, dass erkennbar wäre, wie sich Cluster A, B oder C entwickelt hat. Also muss ich eigene Schlussfolgerungen ziehen und mir ein Bild machen. Aber: Langsam ist es nicht. In China geht nichts langsam.


Sie haben eben eine Reihe von Industriebereichen benannt, in denen sich Cluster entwickeln. Was wäre Ihre Idealvorstellung – in welchem Bereich müsste hier ein ganz starkes Cluster aufgebaut werden?

Ich denke in den Bereichen, die im Ökopark bereits verankert sind. Die regenerative Energie. Das ökologische Bauen. Hier wird mit dem Niedrigenergiehaus bereits einiges getan. Und die intelligente, sprich datenbasierte, automatisierte Produktion mit Robotern. Das Stichwort lautet: Industrie 4.0. Ein Thema ist hier ebenso ein Schwerpunkt – die Meeresbiologie, in der Qingdao meiner Ansicht nach künftig eine international führende Rolle spielen wird, weil hier Ziele verfolgt werden, die es anderswo so nicht gibt.


All diese Entwicklungen in China – ob es bei neuen Technologien oder im Bereich Fintech ist oder in der von Ihnen erwähnten Meereserkundung – werden in Europa mit zunehmender Skepsis verfolgt. Wie erklären Sie sich das?

Es ist ja nicht so, dass sich da in Europa gar nichts tut. Auch in der Meerestechnologie gibt es interessante Ansätze. Man muss nur aufpassen, den Anschluss nicht zu verpassen. Bei den Fintech entwickelt sich wie in China auch in Europa, in Frankfurt am Main, Berlin und London, auch in den USA einiges. Die Skepsis gegenüber der chinesischen Entwicklung rührt daher, weil ausländische Unternehmen bisher im Finanz- und Versicherungsdienstleistungssektor noch sehr wenig in China mitmachen können. Es gibt kaum Verflechtungen mit den Entwicklungen in Europa und Amerika, was in anderen Bereichen sehr wohl der Fall ist, sowohl in der industriellen Produktion als auch in der biotechnologischen Entwicklung und Forschung, in der Materialwissenschaft oder in der Medizin. In allen diesen Bereichen gibt es intensive Kooperationen, die es bei den Fintech nicht gibt.

Aber ich würde nicht von Skepsis sprechen, sondern eher von Neugier, was da in China eigentlich passiert. Denn es herrscht allgemein Unklarheit darüber, wie sich China in diesen Bereichen entwickelt.


Herr Wiesheu, wir erleben derzeit weltweit eine Verschärfung der Handelskonflikte. Zwischen den USA und China. Zwischen den USA und Europa. Die Differenzen zwischen der EU und China nehmen auch zu. Welche Bedeutung haben in diesem Kontext die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen?

Sie sind für beide Seiten wichtig. Für Deutschland ist China ein interessanter Markt, der sich weiter entwickelt und für viele Produkte weiter aufnahmefähig ist, der für Kooperationen mit Unternehmen und die Bildung von Joint Ventures interessant ist. Für China ist Deutschland selbstverständlich wichtig, weil in Deutschland viele Hightech-Produkte hergestellt werden, weil Forschung und Entwicklung groß geschrieben werden und weil in Deutschland davon ausgegangen wird, mit Innovationen wettbewerbsfähig zu bleiben.

Doch: China ist der WTO beigetreten, es will als Marktwirtschaft betrachtet werden. Dann muss sich das Land auch so verhalten. Das bedeutet, Abschottung nach innen ist nicht gut. In seiner Rede auf dem letzten Parteitag hat Präsident Xi Jinping betont, China habe sich weiter nach außen geöffnet. China muss sich aber auch nach innen öffnen. Sprich: Der Zwang zur Bildung von Joint Ventures sollte fallen. Freiwillige Joint Ventures sind gut. Der internationale Datenverkehr muss gewährleistet sein, weil sonst die Unternehmen skeptisch werden und sich fragen, wie sicher ihre Daten sind. Auch der Finanztransfer muss gewährleistet sein. Hier gibt es einige Baustellen, die im Sinne einer langfristigen Kooperation mit dem Ausland hoffentlich gelöst werden. Ist das nicht der Fall, bestehen Barrieren oder Stolpersteine, die die Unternehmen beim Eintritt in den chinesischen Markt skeptisch machen. Das wollen wir nicht. Und das sollte China auch nicht wollen.


China hat in diesem Frühjahr eine weitgehende weitere Liberalisierung für ausländisches Engagement etwa im Automobil- oder im Finanzsektor beschlossen. Der Katalog für ausländische Investitionen beziehungsweise die sogenannte Negativliste werden angepasst. Das alles zum 1. Juli. Reicht das aus Ihrer Sicht nicht aus?

Das reicht nicht aus. Nehmen Sie den Zwang zur Offenlegung von Technologien. Unternehmen können ihre Technologien durchaus freiwillig offenlegen. Es kann aber nicht erzwungen werden.

Zweitens hat der freie und geschützte Datenverkehr für die wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens eine zentrale Bedeutung. Genauso sieht es mit dem Schutz des geistigen Eigentums aus. Geistiges Eigentum ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor, auf den selbstverständlich kein Unternehmen verzichten möchte. Übrigens schützen auch chinesische Unternehmen ihr geistiges Eigentum, wenn sie darin Wettbewerbsvorteile sehen. Das ist auch richtig so.

Ein weiterer Punkt ist, dass es nicht nur chinesischen Unternehmen möglich sein darf, in Europa oder in den USA Firmen zu übernehmen. Auch deutsche Unternehmen müssen die Möglichkeit haben, Firmen in China aufzukaufen. Hier brauchen wir Reziprozität, die es bisher faktisch nicht gibt. Die Gleichberechtigung in beide Richtungen muss hergestellt werden. Sonst wird ein Wirtschaftsmodell, das auf Vertrauen, Fairness und Beidseitigkeit beruht, auf Dauer nicht funktionieren.

Schließlich muss sich der Staat wie vor Jahren angekündigt aus dem Wirtschaftsleben zurückziehen. Mittlerweile erleben wir aber in China eine gegenteilige Entwicklung. Ich sage es ganz offen: Auf Dauer behindert dies die Entwicklung.


Auf der anderen Seite hat China in den vergangenen 40 Jahren bewiesen, dass ein „dritter Weg“ in der Wirtschaftsentwicklung auch zu Erfolg führen kann.

Dass China bestrebt ist, bestimmte Bereiche voranzubringen und dafür Forschung und Entwicklung fördert – das machen andere Staaten auch. Keine Frage. Dass chinesische Firmen mit staatlichen Geldern im Ausland andere Firmen aufkaufen – das machen andere Länder nicht. Es müssen faire Bedingungen herrschen, wie sie in den Regeln der WTO festgeschrieben sind, wie sie den privatwirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen. Und man muss sich auf faire Verfahren verständigen. Ich appelliere an Fairness, die von allen Seiten praktiziert werden muss, weil sich sonst ein Partner übervorteilt fühlt und befürchten muss, sukzessive unter die Räder zu kommen. Das sollte auf keinen Fall so sein. Jeder Partner sollte seine Chancen haben.

China hat sich in den vergangenen Jahren hervorragend entwickelt. Keine Frage. China hat noch eine große Perspektive vor sich. Auch keine Frage. Dass China nicht nur stärkste Wirtschaftsmacht der Welt werden will, sondern auch wird, ergibt sich aus der Natur der Sache. Bei dieser großen Einwohnerzahl, bei diesem Wirtschaftspotenzial, bei den Fähigkeiten und dem Willen der Bevölkerung, wird das in Kürze der Fall sein. Und das ist überhaupt keine Gefahr, wenn das Land mit den Partnern fair umgeht.


Lassen Sie mich auf eine Ihrer Bemerkungen zurückkommen, den Schutz geistigen Eigentums. Wir alle wissen, das ist ein Problem. Es ist aber nicht nur für ausländische Unternehmen ein Problem, sondern auch für chinesische. Wir wissen auch, dass sich in diesem Bereich in den vergangenen Jahren viel getan hat. Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht, dass es seit einiger Zeit im Ökopark eine Schiedsstelle gibt, die sich genau auf die Frage des Schutzes geistigen Eigentums konzentriert?

Das ist gut. Und soweit ich informiert bin, funktioniert die Schiedsstelle auch. Im Übrigen kenne ich eine Reihe deutscher Unternehmen, die sagen, mit dem Schutz geistigen Eigentums in China ganz gut zu recht zu kommen. Bei den entsprechenden Richtlinien ist viel vom deutschen Rechtsmodell übernommen worden. Der frühere Chef des deutschen Patentamtes hat China viele Jahre beraten. Also, wir sollten das Kind nicht mit dem Bade auschütten. Vieles ist heute erheblich besser als noch vor 20 oder 30 Jahren.


Herr Wiesheu, Sie verfolgen die Entwicklung in China schon seit vielen Jahren, und Sie wissen auch, dass in China der „Chinesische Traum“ realisiert wird. Lassen Sie es uns auf den Ökopark beschränken: Welchen „Ökopark-Traum“ haben Sie für das kommende Jahrzehnt?

Ich verfolge die Entwicklung in China seit 1985. Damals war ich das erste Mal im Land. Was sich seitdem verändert hat, ist phänomenal. So etwas gibt es nirgends auf der Welt. Und es gibt auch nirgends auf der Welt ein Modell für China. Insofern ist die Leistung des Landes noch höher zu bewerten. Was hier gemacht, organisiert und umgesetzt wurde, findet nirgends seinesgleichen.

Um auf den Ökopark im Kleinen zu kommen: Die Grundphilosophie, hier Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Schule, Sport, Kultur zusammenzubringen, daraus eine Lebenseinheit zu bilden, halte ich für sehr gut und überzeugend. Nicht nur für China, sondern auch für andere Länder ist dies ein großes Modell. Insofern wünsche ich dem Ökopark den besten Erfolg. Wenn das alles umgesetzt und realisiert wird, werden die Menschen, die hier leben und arbeiten, ein Lebensumfeld haben, das es anderswo in dieser Art nicht gibt. Damit kann erreicht werden, was hier interessanter Weise als „glückliches Leben“ bezeichnet wird, weil die verschiedenen Aspekte, die zu einem erfüllten Leben gehören, in einer überschaubaren Region zusammengeführt werden. Wer hier wohnt, muss nicht 50 Kilometer fahren, um zur Arbeit zu gelangen, und nicht 50 Kilometer, um Kultur erleben zu können. Hier gibt es alles, was ein harmonisches Leben ausmacht.


Sie sagten, in China geht nichts langsam. Die Städte in China wachsen in einem rasanten Tempo, unterscheiden sich aber kaum noch voneinander. Was empfehlen Sie der urbanen Einheit Ökopark, damit sie ihr eigenes Gesicht bekommt oder bewahrt?

Indem die unterschiedlichen Lebensbereiche in einer überschaubaren Region zusammengefügt werden, bekommt der Ökopark eine eigene Identität. Die Menschen, die hier leben, werden das ebenso empfinden. Das ist der Unterschied zur Entwicklung in anderen Städten. Ich war gerade fünf Tage im Land unterwegs. In einer der Städte, in denen ich war, wurde mir von einem neu geplanten Stadtteil erzählt, der in fünf Jahren 1,5 Millionen Einwohner haben soll. Von den anderen Bezirken der Stadt unterscheidet er sich aber in nichts. Wenn Sie aber in die Zentren der Städte gehen, stellen sie eine eigene Kultur und Tradition fest, die beim Neubau von Stadtteilen nicht beachtet wird. Das wird den Menschen, vermute ich, auf Dauer nicht gefallen. Sie werden dort nicht so glücklich leben wie hier im Ökopark.


Würden Sie denn auch hier wohnen wollen?

Es wäre auf alle Fälle interessant, hier mal eine Weile zu leben.

Mit Otto Wiesheu sprach Peter Tichauer


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