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Ihr müsst „Chinesen“ werden - Interview mit Hermann Simon

2018-10-15 16:20 Ökopark

Er hat den Begriff „Hidden Champion“ geprägt. Hermann Simon. „Hidden Champions“ hat er am 14. Oktober zu einem Erfahrungsaustausch in den Deutsch-Chinesischen Ökopark gebracht. An den deutschen Mittelstand gerichtet fordert er, die Unternehmen müssten „chinesisch“ werden, um im Wettbewerb zu bestehen. Ähnliches gilt für chinesische Unternehmen, die in Deutschland erfolgreich sein wollen. Sie müssen „deutsch“ werden.


@ SGEP/Wang



Herr Professor Simon, Sie haben den Begriff „Hidden Champion“ geprägt. Was zeichnet einen „Hidden Champion“ aus?

„Hidden Champion“ ist ja ein Widerspruch in sich. Denn ein „Champion“ ist ja normalerweise bekannt. Was ist dann ein „verborgener Champion“? Das sind mittelständische Unternehmen, die zwar in ihrem Marktsegment die Nummer eins in der Welt sind, die aber niemand kennt. Deshalb „Hidden“ und „Champion“.


Sie hatten diesen Begriff ja ursprünglich für deutsche Mittelständler geprägt. Gibt es inzwischen auch chinesische „Hidden Champions“?

Die gibt es in der ganzen Welt. Auch in China – mit zunehmender Zahl. Es ist also kein deutsches Konzept, obwohl zahlenmäßig sehr viele deutsche Unternehmen als „Hidden Champions“ gelten. Sie sind aber in der ganzen Welt zu finden – von Neuseeland bis Südafrika und bis Malaysia.


Sie haben deutsche „Hidden Champions“ nach Qingdao in den Deutsch-Chinesischen Ökopark mitgebracht. Warum sollten sich „Hidden Champions“ aus Deutschland für diesen Standort interessieren?

Da ist zum einen der in der Geschichte begründete emotionale Aspekt. Gleichzeitig ist Qingdao ein sehr guter Standort. Die Verkehrsanbindung ist gut. Die Umwelt ist gesund. Zudem ist das technologische Niveau der Wirtschaft hoch. Das sind Bedingungen, die deutsche „Hidden Champions“ in China suchen. Qingdao ist ein Top-Standort.


Was ist das aus Ihrer Sicht das Besondere am Deutsch-Chinesische Ökopark?

Deutsche Unternehmen sind sehr umweltbewusst. Hier werden Passivhäuser mit Null-Energieverbrauch gebaut. Ich habe gerade Bildungs- und Kunsteinrichtungen besucht. Für deutsche Unternehmen ist es wichtig, an Standorten zu sein, wo sich hoch qualifizierte Mitarbeiter wohlfühlen. Mein Eindruck ist, genau dies ist im Ökopark gegeben. Hier kann man sich wohlfühlen. Auch mit Familie.


Herr Simon, Sie plädieren für das „Hinausgehen“. Unternehmen sollen sich auch im Ausland engagieren. Wie erklären Sie sich, dass es in Deutschland zunehmend Vorbehalte gegenüber Investitionen in China gibt, gerade wenn es um Produktion in Bereichen geht, die China mit der Strategie „Made in China 2025“ als Schwerpunkte definiert hat?

Diese Vorbehalte haben durchaus Tradition. Vor hundert Jahren gab es eine Angst vor den Amerikanern. Das wiederholte sich noch einmal nach dem 2. Weltkrieg vor 60 Jahren. Zwanzig Jahre später wurde eine Dominanz der Japaner gefürchtet. Heute herrscht Furcht vor einer Dominanz durch die Chinesen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass China etwas unglücklich kommuniziert. Wenn in der Strategie „Made in China 2025“ erklärt wird, welche Branchen „dominiert“ werden sollen, schafft das Ängste. Klüger wäre es, vorsichtiger, weniger aggressiv vorzugehen. Gleichzeitig muss besser vermittelt werden, welche Vorteile die Strategie Deutschland und deutschen Unternehmen bringt. Das kommt in der Kommunikation meines Erachtens zu kurz.


Auf der anderen Seite ist China in vielen Bereichen inzwischen Technologieführer. Schauen wir uns die Elektromobilität an oder die mobilen Dienstleistungen, die in Deutschland – derzeit jedenfalls – kaum eine Chance auf einen Durchbruch haben. Ist da nicht auch eine gewisse Angst vor einem starken Konkurrenten, den westliche Unternehmen mit ihren Investitionen zu diesem Konkurrenten gemacht haben, weshalb die biblische „gelbe Gefahr“ herausgebuddelt wird?

Stimmt. China ist in einigen Bereichen führend. Das Eisenbahnwesen rechne ich auch dazu. In die emotionale Rubrik „gelbe Gefahr“ würde ich das nicht einordnen. Aber die Angst ist ja auch begründet. Denn die chinesischen Unternehmen sind die schärfsten Konkurrenten der deutschen „Hidden Champions“. Stärker als Amerikaner. Wirtschaftlich, wettbewerbsmäßig ist diese Angst in gewisser Weise sogar begründet. Die Frage ist nur, wie damit umgegangen wird. Mein Ratschlag lautet ganz klar: Die „Hidden Champions“ müssen selbst zu „Chinesen“ werden. Wenn bestimmte Dinge in China besser gemacht werden, müssen die Unternehmen in China sein, um zu lernen und es dann auch umzusetzen.

Aber aus Sicht der Bevölkerung, aus Sicht der Politik kommt eine Abwehrhaltung, die ignoriert, dass Deutschland in China weitaus stärker vertreten ist als umgekehrt. Ich bin immer wieder überrascht, wie die Menschen reagieren, wenn ich diese Aussage mit Zahlen belege. Sie haben keine Ahnung, wie stark deutsche Unternehmen in China engagiert sind, wie viele Fabriken sie in dem Land betreiben und welche Gewinne sie gemacht haben. Und umgekehrt herrscht Ahnungslosigkeit über die chinesischen Investitionen in Deutschland. Wenn ich darauf verweise, es gibt nur eine einzige chinesische Fabrik in Deutschland, sind die Menschen verblüfft. Aber es ist so. Es gibt 167 Akquisitionen in den vergangenen drei Jahren, aber wir sind weit davon entfernt, von Chinesen in Deutschland überschwemmt oder an die Wand gedrückt zu werden. Die chinesischen Unternehmen stehen in der Globalisierung, in der Präsenz am deutschen Markt ganz am Anfang.


Vor fünf, vor zehn Jahren hieß es: Wettbewerb belebt das Geschäft. Das war die gängige Ansicht. Heutzutage wird in Umfragen – ob von der deutschen oder der europäischen Kammer in China – oft betont, der stärker werdende chinesische Wettbewerb sei ein Hauptproblem für die Unternehmen. Das ist doch ein Widerspruch.

Jeder, der im Wettbewerb überlegen ist, lobt den Wettbewerb. Und wenn ein Unternehmen in eine Unterlegenheitsposition kommt, wird auf den Wettbewerb geschimpft. Die deutsche Solarenergie behauptet, wegen der chinesischen untergegangen zu sein. Ich glaube das nicht.

Es ist ja nicht nur so, dass mehr chinesische Unternehmen auf den deutschen Markt kommen. Sondern chinesische Unternehmen sind heute oft auch bei Kompetenz und Qualität besser. Sie haben aufgeholt und machen den deutschen Unternehmen das Leben schwerer.

Aber: Jammern über den Wettbewerb hilft nicht weiter. Die Unternehmen müssen stattdessen weiter innovieren, weiter vorn bleiben.

Wenn wir jedoch an Digitalisierung denken, müssen wir zwischen Business-to-Consumer, bei der deutsche Unternehmen kaum eine Rolle spielen, und Business-to-Business unterscheiden. Bei der Industrie-Digitalisierung sind viele deutsche Unternehmen nach wie vor führend.


Wer an der Spitze bleiben will, muss in Forschung und Entwicklung, muss in Innovation investieren. Das steht außer Frage. Sie sagten aber auch, deutsche Unternehmen müssten chinesisch werden. Was meinen Sie damit konkret?

Das heißt, dass Teile der Wertschöpfungskette, die in China besser gemacht werden können, auch nach China verlagert werden. Also, wenn ich in Mobile Payment oder in der Eisenbahnindustrie unterwegs bin und China ist dabei führend, dann muss ich zentrale Bereiche nach China verlagern. So kenne ich einen Bergwerkstechnik-Hersteller, der nicht nur die Produktion, sondern auch Forschung und Entwicklung nach Peking verlagert hat. Das ist genau der richtige Weg. Ich muss in der Liga spielen, in der die Weltspitze unterwegs ist, und mich von nationalen Beschränkungen verabschieden. Denn in Deutschland können sie keine Bergwerkstechnik entwickeln oder weiterentwickeln, weil es keine Bergwerke mehr gibt.


Sie sagten heute auf der Konferenz, Deutschland und China seien Gewinner der Globalisierung. Gleichzeitig ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern heute deutlich kühler als noch vor fünf Jahren. Was müssten aber Deutschland und China gerade in der heutigen Zeit, in der Trumpsche Abschottung um sich greift, gemeinsam anpacken?

Ich sehe auf wirtschaftlicher Ebene keine Verschlechterung der deutsch-chinesischen Beziehungen. Auf der politischen sieht das ein wenig anders aus, weil es generell eine Tendenz zu mehr Nationalismus gibt, zu einem gewissen Protektionismus – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Ich sage nur Brexit, Polen, Ungarn oder AfD in Deutschland. Davon sind die Politiker ein wenig „angesteckt“.

Aber was das Geschäft mit China betrifft, wird aus Sicht der deutschen Unternehmen von allen, die ein wenig Intelligenz haben, gesagt: „Wir müssen in China sein. Wir müssen in China stärker werden. Wir müssen in China mehr und weiter investieren.“

Umgekehrt erwarte ich auch eine zunehmende Investitionswelle chinesischer Unternehmen in Deutschland. Ich glaube, man muss zwischen der Wirtschaft auf der einen Seite und der Politik und der öffentlichen Meinung auf der anderen Seite unterscheiden.

Gleichzeitig glaube ich, dass China anders kommunizieren muss, um die Widerstände nicht zu verschärfen. Wenn zehn Branchen definiert werden, in denen das Land die Welt „dominieren“ will, dann schürt das Ängste.


Wäre es nicht auch für Deutschland, für Europa gut, klare Vorstellungen, klare Strategien für die Wirtschaft zu haben? China formuliert Zielvorgaben, die immer auch pragmatisch angepasst werden. Sigmar Gabriel hatte dies vor zwei Jahren als Wirtschaftsminister als einen deutlichen Vorteil Chinas gegenüber Deutschland formuliert.

Wir haben unterschiedliche Systeme. Im Westen entscheiden nicht die Regierungen über wirtschaftliche Strategien, sondern die einzelnen Unternehmen. Selbstverständlich ist es gut, klare Vorstellungen, eine Vision über die Zukunft zu haben. Aber wie diese kommuniziert werden, das ist eine zweite Frage. Und da rate ich China, weniger aggressiv und auf Dominanz ausgerichtet zu kommunizieren, weil ich das für kontraproduktiv halte. Wenn ein einzelnes Unternehmen sagt, es will seine Branche dominieren, hat das eine ganz andere Qualität, als wenn es von einem Staat formuliert wird.


Mit Hermann Simon sprach Peter Tichauer

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